Liane Ströbel

Der Begriff „Nation“ im Spannungsfeld von europäischer Renaissance und einzelstaatlichen Exitbestrebungen

Letzte Woche war ich (zumindest online) auf der Tagung des Arbeitskreises „Sprache, Geschichte, Politik und Kommunikation“ zum Thema „National, Transnational, Anational: Konzepte der NATION im europäischen Kontext im 21. Jahrhundert“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena mit dem Vortrag „Der Begriff „Nation“ im Spannungsfeld von europäischer Renaissance und einzelstaatlichen Exitbestrebungen„.

Abstrakt: Wir befinden uns in einer Zeit, in der progressiv betriebener Nationalismus uns dazu zwingt das Konzept von „Nation“ neu zu überdenken.
Etymologisch aus dem klassischen lateinischen nasci „geboren werden“ hervorgegangen, ist wahrscheinlich kein Begriff so stark mit Identität und Identitätssuche verbunden, wie der Begriff „Nation“, aber auch kein anderer Begriff steht im 21. Jahrhundert vor größeren Herausforderungen (Bevelander & Wodak, 2019). Gerade das Projekt Europa scheint einen internen Abspaltungsprozess des Begriffs, in nationale Vielfalt auf der einen und nationale Interessen auf der andern, gefördert zu haben (Koller, 2012; Wodak & Boukala, 2015).

Die linguistische Analyse umfasst ein kombiniertes Verfahren auf drei Ebenen. Neben kognitiven Frames, werden subjektive Werteskalen und sensomotorische Konzepte untersucht, die zur Einbettung und (individuellen) Definition des Begriffs „Nation“ im Umfeld von Europabefürwortern und Europagegnern verwendet werden:

1. Frames sind eine der effektivsten Kommunikationsstrategien. Frames untersuchen wie Konzepte im Kopf organisiert und repräsentiert werden (Croft, 2009; Langacker, 1987; Croft & Cruse, 2004; Ruiz de Mendoza, 2014).
2. Mit Hilfe von subjektiven Werteskalen, die eine kognitive Wertschätzung beinhalten (Reyes & Morrett, 2015; Harb et al. 2008), können Begriffe intensiviert, betont oder ausgeblendet werden (Hatzivassiloglou & McKeown, 1997; Hatzivassiloglou & Wiebe 2000; Wiebe, 2000; Wilson et al, 2009).

3. Gerade sensomotorische Konzepte werden häufig in persuasiven Diskurssituationen verwendet und erscheinen „unschuldiger“ und weniger „wirksam“ als expressive Metaphern (Musolff, 2019; Ströbel 2016, 2017a,b; 2018 a,b; 2019a,b). Doch wie neurolinguistische Studien zeigen, ist der Schein trügerisch (Hauk & Pulvermüller 2004). Sensomotorische Konzepte steuern aktiv die Informationsvermittlung, indem sie als dynamische Verstärker prototypischer Frames und subjektiver Markierungen fungieren (Haser 2005; McGlone 2007; Pinker 2007; Ghiglione 1974; Landau, Meier & Keefer 2010; Landau, Robinson & Meier 2013).

Mit Hilfe einer kombinierten Analyse dieser drei Ebenen identifiziert, isoliert und kategorisiert der Vortrag Spielräume des Deutungsrahmens des Begriffs „Nation“ im politischen Diskurs in Frankreich, Spanien und Italien. In allen drei Ländern laufen aktuell Wetten über den Zeitpunkt des Frexits (oder Franxits), Españxits, Italexits. Die zeitliche und thematische Eingrenzung des Korpus beschränkt sich auf den Zeitraum der Brexitdebatte bis hin zur Covid-19 Krise. Die sprachlichen Strategien der Identitätsbildung und Selbstidentifikation in Krisenzeiten werden innerhalb der unterschiedlichen Lager (Marine Le Pen vs. Emmanuel Macron, Pedro Sánchez/Pablo Iglesias vs. Vox, Giuseppe Conte vs. Matteo Salvini) und im Sprachvergleich (französisch, spanisch und italienisch) kritisch betrachtet. Ziel des Vortrags ist es, das Konfliktpotentials der Verwendung des Begriffs „Nation“ und die Polysemie dieses Begriffes im nationalen, wie auch internationalen Diskurs aufzuzeigen.

Weitere Informationen : https://diskurswestbalkan.uni-jena.de/forschung/konferenz-15-17-april-2021/

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