Liane Ströbel

CFP: Phänomene der Verknappung in den romanischen Sprachen, Literaturen und Kulturen

Romanistentag Mannheim, 2015: „Romanistik und Ökonomie: Struktur, Kultur, Literatur“ (Sieglinde Borvitz, Liane Ströbel, Yasmin Temelli)

Phänomene der Verknappung in den romanischen Sprachen, Literaturen und Kulturen

Gerade in den letzten Jahren hat das Thema der Verknappung angesichts eines verstärkten Krisenbewusstseins erneut an Relevanz gewonnen, dabei knüpft es unter anderem an Erfahrungen aus der Vergangenheit an. Die geplante Sektion setzt sich zum Ziel, aus der Perspektive der Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft verschiedene Epochen und Ausprägungen des Phänomens in der Romania in den Blick zu nehmen, insbesondere moderne Entwicklungen. Der Begriff der Verknappung ist konzeptuell eng verbunden mit der Ökonomie, Ökonomisierung, Wirtschaftlichkeit und dem oikos im Sinne der Gemeinschaft und figuriert dabei als Gegenpol zu Wachstum, Prosperität und Überschuss. Entsprechend frequent ist die Diskussion im sozialwissenschaftlichen oder auch wirtschaftswissenschaftlichen Kontext, beispielsweise in Bezug auf das Konsumverhalten und den sozialen Status. Zugleich impliziert Verknappung etwas Prozessuales, bisweilen auch ein strategisches Politikum.

In ihrer interdisziplinären Ausrichtung verfolgt die Sektion die Frage, ob sich aus den pluralen Zugangsmöglichkeiten übergreifende Erkenntnisse gewinnen lassen, insbesondere im Hinblick auf strukturelle und inhaltliche Gesichtspunkte oder aber auch im Sinne der Reflexion einer spezifischen, historisch gebundenen Lebenswirklichkeit und Gesellschaftsempfindens.

In der Sprachwissenschaft hat das Thema bisher eine systematischere Aufmerksamkeit erfahren als in den Literatur- und Kulturwissenschaft.

Für eine Betrachtung seitens der Sprachwissenschaft bieten sich daher mannigfaltige  Zugangsmöglichkeiten an, wobei hier nur eine Auswahl vorgestellt wird:

Mögliche Themenbereiche

Das Phänomen der Verknappung bietet sich gleichermassen für eine synchrone, wie auch diachrone Analyse an. Aus grammatikalischer und lexikalischer Sicht lassen sich insbesondere zwei Strömungen unterscheiden: 1) Einsparungen im Bereich des sprachlichen Materials und 2) Reduzierungen im Bereich des sprachlichen Inventars. Als materialspezifischer Abbau können u.a. Erosionen, Ellipsen, Interjektionen, Bleaching oder auch der verstärkte Einsatz von Kopfwörtern und Akronymen gewertet werden. Während Neutralisations- und Vereinheitlichungsprozesse im phonologischen, morphologischen und grammatikalischen oder Extensionsausdehnung und Polysemie im semantisch-lexikalischen Bereich meist mit einer Reduktion oder zumindest eines Verzichts des Ausbaus des sprachlichen Inventars einhergehen.

Potentielle Anwendungsfelder

Diese sogenannten natürlichen Einsparmaßnahmen im Rahmen des Sprachwandels finden sich auch als bewusst eingesetzte Stilmittel in verschiedenen Textsorten wieder. Während diese künstlichen Verknappungsstrategien im politischen Diskurs und der Werbung zur bewussten Informationssteuerung herangezogen werden, erfüllen quantitative, wie auch qualitative Reduzierungstendenzen im Bereich der neuen Medien (SMS, Chat, etc.) eine Identifikationsfunktion und können teilweise schon als gruppenspezifische Codes eingestuft werden. Die Analyse unterschiedlicher Anwendungsgebiete von Verknappung birgt nicht nur Potential für das Aufzeigen der Spannbreite dieses Phänomens und seiner zukünftigen Entwicklungstendenzen, sondern impliziert auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Folgen dieses sprachlichen Spartrends.

Für eine Betrachtung seitens der Literatur- und Kulturwissenschaft sind folgende Zugänge denkbar:

Mögliche Themenfelder 

Diese können in der gegenseitigen Bespiegelung von Mikro- und Makrokosmos von der Betrachtung zwischenmenschlicher Beziehungen (z.B. Fernbeziehung) über Berufliches (z.B. Arbeitskräftemangel, Arbeitsplatzmangel) bis hin zu Grundbedürfnissen (z.B. Gesundheit, Essen/Ernährung, Wohnraum) reichen. In der durch die zunehmende Akzeleration und Austerität geprägten Gesellschaft der Moderne sind Zeit, Geld, Geduld, Ressourcen, Ruhe bzw. Energie knapp geworden. Ausgelotet werden sollen in diesem Zusammenhang die sich daraus ergebenden Probleme, Konsequenzen oder auch Möglichkeiten. Die Beiträge können in diesem Kontext beispielsweise auch die Diskursanalyse berücksichtigen, wie sie Michel Foucault in L’ordre du discours (Paris: Gallimard 1971) aufzeigt, wenn er die Verknappung der sprechenden Subjekte im Sinne eines Ausschlusses von der Teilnahme am Diskurs bespricht. In der heutigen Informations- und Mediengesellschaft eröffnet sich zudem die Frage nach Manipulation durch Verknappung, z.B. von Informationen.

Literarische und mediale Formen/Gattungen

Hinsichtlich der Darstellung in der Literatur stellt sich auch die Frage nach der Wahl der literarischen und mediale Form/Gattung, der sprachliche Ausgestaltung und einer spezifischen Poetik der Verknappung. Zu denken wäre hier unter anderen an Verdichtungsphänomene wie den Hermetismus eines Ungaretti, Aphorismen, Sloganizität, kurz gehaltene Gegenwartsromane, Kurzfilme, Videoclips, videominuto oder das Potential digitaler Kommunikation (SMS, Bloggs etc.), die auch die Frage nach der Medialität aufwerfen. Darüber hinaus lassen sich die Knappheit des Sinns (zum Beispiel im absurden Theater, in der Nonsensdichtung etc.) oder karge Fakten bzw. Spuren wie im Krimi analysieren.

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